ddm Ausgabe 1 | 2020

ddm | Ausgabe 1 | 2020 33 Digitale Visionen halb auch fachübergreifend, weil es nicht aus endodontischer, kariologischer, parodontologischer oder kieferorthopädischer Sicht betrachtet wird, sondern als Entität. Das Dynamische Digitale Modell repräsentiert den ganzen Patienten. Sie sprachen von Paradigmenwechsel. Wie ändert das Dynamische Digitale Modell unsere Art, Zahnheilkunde zu betreiben? Wir sind mit dem Dynamischen Digitalen Modell den ganzen auf Röntgenstrahlung basierenden Bildgebenden Verfahren durch die Strahlenfreiheit überlegen. Das heißt, wir können die Kontrollauf- nahmen viel engmaschiger machen. Wir erfassen mittels dieses Abbilds zunächst den Zustand des Patienten und sehen im Vergleich dann, welche Erhaltungsmaßnahmen therapeutisch notwendig sind, können pathologische Prozesse sicherer diagnostizieren, therapieren und ihren Verlauf doku- mentieren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meiner Praxis. Wir haben Patient A und Patient B, beide mit stark abradierten Gebissen. Wenn wir den Verlauf mit dem digitalen Modell dokumentieren, sehen wir bei A keine Veränderung, bei B aber ein weiteres Fortschreiten der Abrasion. Das heißt, zwei vermeintlich gleiche Befunde ergeben durch die Verlaufskontrolle vollkommen unterschiedli- che Therapien. Bei A kann ich beobachten, bei B muss ich sofort behandeln. Ähnliches passiert bei Kariesbefunden. Ich kann heute Karies in der Kavität direkt mit dem IOS erken- nen. So weit so gut. Aber was mache ich damit? Bohre ich sofort den Zahn auf und trage wertvolle Substanz ab? Was ist, wenn die Karies in der Kavität die nächsten 10 Jahre stabil bleibt? Mit dem Dynamischen Digitalen Model kann ich so etwas sehen. Hier können in einem Beobachtungsver- lauf Faktoren mitbestimmt werden, die eine andere Einschätzung der Pathologie zulassen als ohne das Modell. Die ganz enge Kette Diagnose – Therapie muss nicht mehr zwangsläufig sein. Es gibt aber noch einen weiteren Faktor, der unsere bisherigen Abläufe verändern wird. Die Darstellung des Dynamischen Digitalen Modells ist in der Praxis problemlos an die Assistenz delegierbar. Dadurch wird dieses Patientenmodell nicht mehr wie eine zusätzliche Leistung innerhalb einer Behandlung betrachtet, sondern ähnlich dem regelmäßigen Blutabnehmen beim Internisten. Der Patient kommt also in die Praxis und die Assistentin nimmt ihm routinemäßig den Status in Form des Dynamischen Digitalen Modells ab, noch bevor der Zahnarzt das Behandlungszimmer betritt. Hier verändert sich unsere Herangehensweise in der Zahnheilkunde fundamental und daher sage ich Paradigmen- wechsel. Wie weit haben Sie dieses Patientenmodell in Ihrer Praxis bereits eingeführt? Wir scannen im Moment 70 % unserer Patienten, Tendenz steigend. Das macht auch die gut aus- gebildete und geschulte Assistenz. Dieses Abbild nehme ich dann als Befundgrundlage. Heute ist bereits die Überlagerung mit einem DVT möglich, sofern dies aus zahnmedizinischer Sicht indiziert ist. Die zusätzliche Überlagerung mit einem extraoralen Scan steht direkt vor der Tür. Zukünftig wird das Erkennen von Füllungen oder die Überlagerung eines OPG oder auch des Parodontalstatus eine Erleichterung in der immer größer werdenden Dokumentationspflicht darstellen, vor allem, wenn es in die Verwaltungssoftware mit integriert werden kann. Und damit habe ich gleichzeitig die virtuelle Patientenentität erfasst. Wie lange wird es aus Ihrer Sicht noch dauern, bis das Dynamische Digitale Modell in der Zahnarztpraxis zum Standard wird? Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ich sehe im restaurativen Bereich eine Art Vorreiter und Motor der Entwicklung. Wer das digitale Modell dort bereits einsetzt, z. B. zum Ersatz von Kronen, Brücken u. ä., nimmt andere Bereiche wie Kariologie, Parodontologie, Funktionsdiagnostik, Herstel- lung von Schienen etc. als wenig zusätzlich kostenintensives Beiwerk gerne mit. Ich möchte mich nicht auf eine Jahreszahl festlegen, aber die Durchdringung in den fortschrittlichen Praxen wird in naher Zukunft sehr stark sein. Dies erwarten zum einen immer anspruchsvoller werdende Patien- ten und auch das Fach Zahnmedizin kann davon profitieren. Der Aufbau einer KI im medizinischen

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