ddm Ausgabe 6 | 2019

ddm | Ausgabe 6 | 2019 37 Pro & Contra Herausforderung 6: Kostenfalle und Risiken der Überversorgung Große technische Investitionen in die Digitalisierung einer Praxis erfordern in der Folge den häufi- gen, regelmäßigen Einsatz der neu erworbenen Technologien, um die entstandenen Kosten wieder hereinzuholen – ein Aspekt, der auch als „Amortisationsfalle“ bezeichnet wird. Denn der wahrge- nommene Amortisationsbedarf wiederum erhöht das Risiko von Überdiagnosen und Überbehand- lungen – eben dann, wenn Geräte in der Patientenversorgung häufiger eingesetzt werden, als es eigentlich geboten wäre. Überdiagnose und Überbehandlung schaden dem Patienten medizinisch und der Versichertengemeinschaft finanziell und stellen daher ein bedeutendes ethisches Problem dar. Darüber hinaus birgt die ständige technische Aufrüstung das Risiko eines „Shift of Standards“, d. h. es werden neue technische Standards geschaffen, die andere Praxisinhaber dazu zwingen „nachzu- rüsten“, ummithalten zu können. Die computergestützte Implantation auf der Grundlage von CBCT- Daten kann hier als Beispiel dienen: Die bloße Tatsache, dass eine solche computergestützte Implan- tation möglich ist, sollte sie nicht zu einer sachlichen Notwendigkeit machen. Ihre Verwendung bietet nur in bestimmten Fällen wirkliche Vorteile. Doch je mehr Praxen sich eine derartige Techno- logie anschaffen, desto mehr wird sie als „üblich“ wahrgenommen werden, und umso schwerer (und begründungspflichtiger) wird es künftig, diesen Standard zu „unterschreiten“. Schließlich können digitale Technologien neben den eigentlich beabsichtigten diagnostischen Befunden auch sogenannte Zufallsbefunde bereitstellen. Hier stellen sich ebenfalls ethische Fra- gen: Wie soll mit diesen Erkenntnissen umgegangen werden? Sollte ein Behandler seinen Patienten grundsätzlich über Zufallsbefunde aufklären – oder nur dann, wenn er sie als krankheitsrelevant ein- stuft? Die Antwort ist differenziert: Grundsätzlich müsste man jeden Patienten vor der Anwendung einer Technik, die Zufallsbefunde erbringen kann, fragen, ob er hierüber aufgeklärt werden oder von seinem „Recht auf Nichtwissen“ Gebrauch machen möchte. In praxi wird dies nicht leicht durch- zuhalten sein. Ein anderes ethisches Desiderat besteht darin sicherzustellen, dass solche Zufallsbe- funde – sofern sie ohne echten Krankheitswert sind – nicht zu einer Überbehandlung führen. Herausforderung 7: Ökologischer Fußabdruck vs. „digitale Suffizienz“ Digitale Technologien gelten allgemein als hocheffizient. Vor allem Befürworter der Digitalisierung argumentieren deshalb häufig, dass besagte Gerätschaften Einsparpotenziale bieten, sowohl in Bezug auf den Zeitaufwand als auch in Bezug auf die langfristigen Kosten. Die Praxis zeigt jedoch, dass die ständige Erhöhung der technischen „Effizienz“ zu immer mehr neuen Geräten, zu Weiter- entwicklungen bestehender Systeme und / oder regelmäßigen Updates führt. Diese treiben die Kosten tendenziell nach oben und lösen weiteres Wachstum aus. Beide Effekte heben folglich das ursprünglich in Aussicht gestellte Einsparpotenzial auf. Insofern erscheint es unrealistisch, die Digi- talisierung als Instrument zur Kostensenkung zu sehen. Im Gegenteil: die Nachfrage dürfte steigen – eine Tatsache, die auch als „Konsumspirale“ bezeichnet wird. Damit wird auch ein zweites ethisches Problem angesprochen: der ökologische Fußabdruck der Digitaltechnik. In Anbetracht der extrem hohen Tempi der Innovationszyklen ist davon auszugehen, dass immer mehr Geräte und Zubehör, immer mehr Soft- und Hardware ausrangiert und freigesetzt werden, um neueren, besseren Versionen Platz zu machen. Hieraus ergeben sich – über die Zahn- heilkunde bzw. die Medizin hinaus – weitere ethisch relevante Anforderungen an die Digitalisierung: Nämlich eine umsichtige Nutzung der neuen Technologien und adäquate (internationale) Konzepte für die ökologische Entsorgung. Mit anderen Worten: Benötigt wird eine kreative „digitale Politik“, die auch Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt. In Zürich gibt es bereits ein erstes größe- res Forschungsprojekt, das sich mit dem Thema „Digitale Suffizienz“ (2019) beschäftigt – getreu dem Motto: so viele digitale Geräte und so viel Vernetzung wie nötig, so wenig wie möglich.

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